Mit Traditionen ist es so eine Sache. Die einen möchten sie bewahren – vielleicht weil sie ihnen Orientierung, Zugehörigkeit und Stabilität bieten. Andere halten sie für unliebsame, womöglich sogar diskreditierte Lasten, die man besser heute als morgen über Bord werfen sollte. Schwierig wird es – wie so oft – auf den Mittelwegen. Zwischen fragloser Bejahung und radikaler Ablehnung einen Umgang mit Sitten und Bräuchen zu finden, ist anspruchsvoll. Denn wenn man das Überlieferte in seinen Grundzügen erhalten möchte, ohne jedes Detail unwidersprochen hinzunehmen, dann ist neben nuancierter Sachkenntnis und differenziertem Urteilsvermögen auch die Fähigkeit gefragt, plausible Kritik zu äußern. Dieser Herausforderung stellt sich das experimentelle Tanztheaterstück »not for glory« mit Blick auf die Wettbewerbstraditionen schottischer Dudelsackmusik und irischer Tänze.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema war von dem siebenköpfigen Projekt-Team als offener, kreativer Prozess angelegt, an dem sich im vergangenen Januar in Glasgow auch interessierte Gäste beteiligen konnten. Diese erste Work-in-progress-Veranstaltung wurde von Mitgliedern der Künstler-Organisation The Work Room organisiert. Anschließend brachten die Darsteller Charlotte McLean, Malin Lewis und Jack Anderson das Konzept bei zwei Vorschau-Aufführungen im April in Ullapool und Edinburgh auf die Bühne. Was bisher dabei herausgekommen ist, lässt sich in Teilen im Netz betrachten, insbesondere auf der Webseite und dem Insta-Account von Charlotte McLean.
Verhältnis zur Tradition ausloten
Das bisher verfügbare Bildmaterial ist von teils irritierender Ästhetik und provokanter Symbolik. In einem Filmausschnitt hantiert Malin Lewis auf eine Weise mit der Highland Pipe, dass Betrachter unweigerlich an eine Herzdruckmassage denken. Das Instrument klingt dabei wie ein sterbender Wasservogel. Ob die Reanimation gelingt, bleibt an dieser Stelle unklar. Den Hinweis auf einen möglichen Ausgang bietet ein Foto, das die Pipe neben zwei schwarzen Passionskreuzen auf dem Boden liegend zeigt. Der Eindruck drängt sich auf, dass hier etwas zu Grabe getragen wird. Aber was?
Die zugehörigen Texte klingen da schon versöhnlicher. Bei Charlotte McLean heißt es beispielsweise, »not for glory« lasse das Erbe »with respect and resilience« wiederaufleben. Und aus dem Work Room erfahren wir über die Arbeit der drei Darsteller: »Blending nostalgia with innovation, they balance reverence for tradition with a drive for inclusion and activism.« Nach Sturmlauf gegen das Hergebrachte klingt das nicht. Aber eine spannungsreiche Auseinandersetzung mit einem musikalischen Genre, das in besonderem Maße aus Traditionen lebt, darf erwartet werden. Wer Interesse an diesem Experiment hat, die bisherigen Veranstaltungen aber nicht erleben konnte, wird voraussichtlich noch Gelegenheit bekommen. Für 2026 sind weitere Auftritte geplant.
