»Heard Above Gunfire«


Es muss um das Jahr 2000 gewesen sein, als ich zum ersten Mal die Filmdokumentation The Powerful Story of the Great Highland Bagpipe sah, abgespielt auf einem VHS-Player. Der mediale Umbruch war in vollem Gange, und so erschien die zweiteilige Doku kurze Zeit später auch auf dem zukunftstauglichen Medium DVD. Offenbar war die Gelegenheit günstig, um die Covergestaltung anzupassen und ihr eine martialischere Note zu geben. Denn auf den schmaleren Hüllen war der vormalige Untertitel Instrument of War an prominente Stelle gerückt. Inhaltlich war diese Akzentverschiebung zum imposanten Kriegslabel durchaus gerechtfertigt.

Der Film erzählt, mit einigen Nebenschauplätzen, eine musikalische Kriegsgeschichte – von schottischen Rebellionen gegen die Krone im Süden, über die Kampagnen des Britischen Empires im 19. Jahrhundert bis zu den mechanisierten Albträumen der beiden Weltkriege. Nachdem die nunmehr altertümlichen Datenträger vor einiger Zeit in vergessenen Kisten wieder auftaucht waren, begann die Suche nach geeigneten Abspielgeräten. VHS war verloren. Aber für die DVDs fand sich schließlich eine kompatible Hardware.


»I gave me courage, and I gave them courage«

Der Film beginnt mit einem eindrucksvollen Zitat, über dessen Herkunft der Betrachter leider im Unklaren gelassen wird: »Music and war are inseparable«. Eine starke Behauptung. Ob sie wahr ist, lässt sich kaum ermessen. Zweifel sind angebracht. Aber darum geht es an dieser Stelle vermutlich auch nicht. Vielmehr um den Effekt einer initialen Aussage, mit deren Hilfe der Ton gesetzt wird für rund zwei Stunden Film über Verzweiflung und Ehre, Ruhm und Schmerz, Moral und Heldentum, über Trümmerfelder, Leichenberge, Traditionen.

Zu den bemerkenswertesten Passagen gehören die Berichte von Veteranen des Ersten Weltkrieges, die für die Dokumentation in nicht geringer Zahl vor die Kamera getreten sind. In der Sicherung ihrer Schilderungen liegt das vielleicht größte Verdienst der Filmemacher, zumal von den zu Wort gekommenen Personen – zur Zeit der Aufnahme großteils über 100 Jahre alt – inzwischen niemand mehr am Leben sein dürfte.

Mehrmals schreitet die Kamera adlig-militärische Gemäldegalerien ab – Hochglanzzeugnisse des 19. Jahrhunderts und zugleich illustrative Mittel, die ein ehrwürdiges Licht abstrahlen. Doch diese Szenen bleiben vergleichsweise entrückt und abstrakt. Seine faszinierende Unmittelbarkeit und Aussagekraft entfaltet der Film dagegen in jenen Teilen, in denen die Zeitzeugen zu Wort kommen.


»Suddenly I heard the bagpipes, I wanted to get into the bloody war«

Als die Musik zum Abspann erklingt, kommt eine leichte Irritation auf. Möglicherweise ist sie der Gleichzeitigkeit von affirmativem Pathos und kritischem Kommentar geschuldet. Beides durchzieht den Film und findet nebeneinander Platz, ohne zu einer Seite hin aufgelöst oder als Gegensatz eigens thematisiert zu werden. Es gibt Stellen, an denen man darüber streiten kann, ob die Schwelle zur Glorifizierung überschritten ist. Zugleich finden sich Statements, die ein eher distanziertes Verhältnis erkennen lassen. Mit diesen Spannungen und Dissonanzen steht der Zuschauer am Ende allein da. Er kann das Versäumnis (oder die Verweigerung?) einer eindeutigen Stellungnahme als Einladung nehmen, sich selbst ein Urteil zu bilden.


»I had to« »We had to«…

sind wiederkehrende Äußerungen jener Kriegsteilnehmer, als wollten sie im Rückblick deutlich machen, dass der Irrsinn der Ereignisse nicht in ihrer Verantwortung lag. Der 1997 produzierte Film ist inzwischen selbst zum historischen Dokument geworden. Er stammt aus einer Zeit, in der sich auf einem alternden Kontinent der Glaube verbreitet hatte, dass die großen Konfliktlinien dieser Welt in Auflösung begriffen sind. Es sollte anders kommen.

Vielleicht findet sich ein Medien-Unternehmen, das diese Geschichte weitererzählt. Würde man mit derselben Emphase von Kriegsinstrumenten reden, während die Ernüchterung darüber eingezogen ist, dass in Europa inzwischen wieder Schützengräben ausgehoben werden?

Es lohnt sich, den Film noch einmal anzuschauen. Und wenn es nur wegen einer Aussage ist, zu der man den ganzen Inhalt verdichten kann: Wie es auch kommt, wir müssen irgendwie weitermachen. Musik kann dabei helfen.

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